Hermes Trismegistos, der „dreimal größte Hermes“, ist eine der rätselhaftesten Gestalten der Geistesgeschichte. Der legendäre weise Ägypter gilt seit der Antike als Autor einer Reihe von mystischen, astrologischen und magischen Schriften. Philosophen der Renaissance feierten Hermes Trismegistos als Begründer der Philosophie, Freimaurer machten ihn zu ihrem Ahn-herrn, Aufklärer kämpften in seinem Namen für religiöse Toleranz. Bis heute ist Hermes Trismegistos eine der Zentralfiguren der Esoterik. Florian Ebeling bietet einen allgemeinverständlichen Überblick über das „Corpus Hermeticum“, stellt die Schriften vor, die darüber hinaus im Namen des Hermes verfaßt wurden und geht der Rezeptionsgeschichte des hermetischen Schrifttums von der Antike über Renaissance und Aufklärung bis zur Gegenwart nach. Damit liegt erstmals eine seriöse, von Mystifizierungen freie Einführung in die Geschichte des Hermetismus vor.
Florian Ebeling ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Ägyptologie der Universität Heidelberg. Zahlreiche Publikationen zum Hermetismus, zur europäischen Ägyptenrezeption und zur Operngeschichte.
VorwortDer Hermetismus gehört zu den Unterströmen des abendländischen Kulturgedächtnisses; er war nie Hauptstrom, aber er war auch nie vollkommen marginal oder gar ganz verschollen. Die landläufige These, daß es sich hier um eine Wiederentdeckung der Renaissance handele, von der das Mittelalter nichts geahnt habe, wird in diesem Buch schlagend widerlegt. Zwar bedeutete in der Tat das Auftauchen einer Handschrift des Corpus Hermeticum und seine im Jahre 1463 abgeschlossene Übersetzung durch Marsilio Ficino eine geistige Revolution und begründete zumindest in Florenz und Norditalien eine hermetische Tradition eigener Prägung; daneben aber gab es drei Überlieferungswege, auf denen hermetisches Gedankengut durch das ganze Mittelalter hindurch präsent geblieben war: die Zitate der Kirchenväter (vor allem Laktanz und Clemens von Alexandrien), der Traktat Asclepius in lateinischer Übersetzung und arabische, bereits im 12. und 13. Jahrhundert ins Lateinische übersetzte Texte.So kann Florian Ebeling zwei hermetische Traditionsströme unterscheiden: Der eine, der auf den Schriften des Corpus Hermeticum basiert, ist in Italien zuhause und verbreitet sich von dort aus über Europa, der andere, der vor allem auf der Tabula Smaragdina und anderen ursprünglich arabischen Texten gründet, hat seine Schwerpunkte nördlich der Alpen. Der italienische Hermetismus versteht sich als eine Philosophie in engster Verschwisterung mit dem Neuplatonismus, der nordalpine Hermetismus dagegen versteht sich eher als eine praktische, alchemistisch-medizinische Wissenschaft. Gemeinsam ist beiden Traditionen lediglich die Berufung auf Hermes Trismegistos. Bisher hat man unter dem Stichwort der «hermetischen Tradition» immer den Hermetismus der Florentiner Renaissance und seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte verstanden; die Entdeckung eines eigenständigen nordalpinen Hermetismus durch Florian Ebeling hat jetzt unser Verständnis der hermetischen Traditionen grundlegend verändert und erweitert. Dieses Buch fasst daher nicht nur das bekannte Wissen über den Hermetismus zusammen, sondern entwirft zugleich ein ganz neues Bild dieses Gegenstands. In seiner Heidelberger Dissertation hat Ebeling auf der Basis eines Textcorpus von weit über hundert teils bekannten, teils unbekannten alchemistischen Traktaten des 17. Jahrhunderts die Konturen eines eigenständigen Ägyptenbildes gewonnen, in dem Ägypten nicht als eine alte, untergegangene Kultur, sondern als eine lebendige Tradition erscheint, die man beerben und weiterführen kann. So konnte etwa Paracelsus als ein neuer Hermes verstanden werden. Das ist das Ägyptenbild der Rosenkreuzer und Freimaurer, wie es uns zum Beispiel noch in der Zauberflöte entgegentritt.Hermes Trismegistos gilt als ein ägyptischer Weiser. Das macht die hermetische Tradition so außerordentlich interessant für die Ägyptologie. Unter den verschiedenen Überlieferungen und Erinnerungsfiguren, die ein je unterschiedliches Bild der altägyptischen Kultur im abendländischen Kulturgedächtnis lebendig gehalten haben, ist Hermes Trismegistos die wichtigste und das von ihm repräsentierte Ägyptenbild das großartigste. Neben dem Hebräer Mose und dem Griechen Platon stand für das Abendland daher immer, wenn auch nur selten auf gleicher Höhe, der Ägypter Hermes Trismegistos. Als prototypische Figur des Dritten zwischen Christentum und Heidentum hatte Hermes Trismegistos seine größte Stunde in der Renaissance, und zwar im Rahmen der von Marsilio Ficino als Ur-Theologie (prisca theologia) begründeten Tradition. Damals sah es für etwas mehr als hundert Jahre so aus, als ob sich der Exklusivismus des christlichen Monotheismus mit seiner scharfen Unterscheidung zwischen Religion und Götzendienst sowie zwischen Orthodoxie und Häresie in einer übergreifenden, universalistischen Perspektive aufheben ließe – bis dann im Zuge der Gegenreformation die Grenzen wieder geschlossen wurden und Francesco Patrizi mit seinen Büchern auf dem Index, Tommaso Campanella im Gefängnis und Giordano Bruno gar auf dem Scheiterhaufen landeten. Im Rahmen der Prisca Theologia galt Hermes Trismegistos als ein prominenter, zuweilen gar als der größte, Träger einer Offenbarung, die Gott nicht nur den Juden und Christen, sondern auch den Heiden zuteil werden ließ.Das Hauptproblem des Hermetismus besteht darin, daß einerseits die verschiedenen sich auf Hermes berufenden Traditionen kaum unter einen Hut zu bringen sind, andererseits aber einige dieser Traditionen anderen Richtungen wiederum zum Verwechseln ähnlich sehen, die sich nicht auf Hermes berufen. «Den» Hermetismus als eine in sich einheitliche und von anderen klar geschiedene Richtung oder gar als ein philosophisches System gibt es nicht. Das macht Ebeling in seinem Buch klar. Der Alchemo-Paracelsismus, der hier erstmals als eine eigenständige hermetische Tradition herausgestellt wird, hat mit dem platonisierenden Hermetismus Florentiner Provenienz kaum etwas gemeinsam. Wenn sich dennoch so etwas wie gemeinsame Elemente herausstellen lassen, dann sind sie wiederum nicht exklusiv «hermetisch», sondern lassen sich auch in anderen Traditionen wiederfinden.
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