Zeichen Saturns
Die verwirrende Zeit um Neujahr steht im Zeichen des Saturns. Der alte römische Planetengott, gelegentlich auch mit dem griechischen Kronos gleichgesetzt, verschlingt seine Kinder, wie die Zeit alles verschlingt, was sie jemals gezeugt. Die Zeit verzehrt die Dinge. Kronos, so berichtet der Mythos, wird von seinem Sohn Zeus gestürzt und in den Abgrund des Tartaros gestoßen – die alten Titanen unterliegen den jungen Göttern.
Einige griechische Geschichtsschreiber setzen Kronos auch mit Chronos gleich und schildern ihn als den Vater der Zeit, und nach einer antiken Legende gelangt Kronos nach Latium und bringt König Janus die Ordnung und den Neuanfang. Am Ende sind der Titan und der Doppelgesichtige identisch, sind Vergangenheit und Zukunft unzertrennlich. Saturn ist – wie Kronos und Janus – ein Gott der Zeit, und sein Wappentier, die schwarze Krähe, der Vogel des Orakels und des Schicksals, zieht an kalten Januartagen über den Himmel und hockt auf kahlen Bäumen.
Saturn, einst der Gott des Goldenen Zeitalters und der idealen Vorzeit der Antike, fristet seit dem frühen Mittelalter, vom Christentum entthront und eingeschwärzt, ein trübes Dasein als unheilvolles und bedrohliches Prinzip am Sternenhimmel. Saturn gilt als der Planet der Verneinung, des Mangels und der Zerstörung. Er regiert das Bild des Steinbock, den Januar und den schwarzen Frost, der die Erde verschließt. Seine Natur wird als kalt, bitter, dunkel und rau beschrieben, seine Physiognomie als streng, stolz, mürrisch und hart.
Als ein Greis mit Sense und Stundenglas wird Saturn dargestellt, und alles Alte und Verknöcherte wird ihm zugewiesen – auch Hochmut und Geiz. Seine Diener sind Gefangene, Gehenkte, Diebe und Totengräber. Sein Gift ist das von Tollkirsche und Teufelskralle, und seine Laster sind Stumpfsinn, Prahlerei und Dogmatismus. Widerstand ist sein Prinzip. Blei und Bergwerk gehören zu ihm, Kohle und Kerker, Pech und schwarze Galle. Die schwarze Galle gilt seit der Antike als saturniner Körpersaft und als Sitz der Melancholie. Das ganze Mittelalter hindurch werden Saturn und seine melancholischen Kinder als Unglück betrachtet und als Gefahr, und noch Luther behauptet, die Melancholie sei ein »Teufelswerk«.
Erstmals den bekennenden Melancholikern des 15. Jahrhunderts gelingt eine Art Ehrenrettung. Seit ihren Schriften gilt Saturn auch wieder als Signatur der Gelehrten, der Geistreichen und der Genies. »Der Geist«, so heißt es in Marsilio Ficinos Traktat über Melancholie und Saturn, »der sich beim Studium gelehrter Schriften ganz von allem Äußeren abwenden und sich auf sein Innerstes sammeln muss, wird in seiner Konzentration und Sammlung der schwarzen Galle ähnlich. Die schwarze Galle aber, der saturnine Körpersaft, treibt den Geist unablässig dazu, sich zu Einem zu verdichten, Eines zu bleiben und über sich selbst nachzudenken. Sie zwingt den Forschenden, seine Aufmerksamkeit auf das Zentrum zu richten, und führt ihn hinauf zu den höchsten Dingen, die es zu erfassen gibt.« (…)
Saturn, der höchste und dem täglichen Leben fernste Planet, ist ein äußerst ambivalentes Prinzip. Er weist auf Erstarrung und Apathie, zugleich aber auch auf Kontemplation und Offenbarung. Er ruft den Geist vom Äußeren ins Innere und führt ihn in die Tiefe und zu den verborgenen Schätzen. Diese Seite des Saturn, die allem Erdenleben abgekehrte religiosi contemplativi, soll Mose einst veranlasst haben, den Hebräern die Sabbatruhe aufzutragen. Der Samstag – der alte Tag des Saturn – eigne sich nicht für Geselligkeit und Geschäfte, wohl aber für Einkehr, Gottesdienst und Opfer. Am Sabbat bricht das Licht der oberen Welt in jene profane Welt ein, in der der Mensch die übrigen sechs Wochentage lebt, und es ist das Licht des Sabbat, das den Gläubigen befähigt, die Geheimnisse des Geistes in der rechten Weise zu erkennen.
In der christlichen Tradition liegt der saturnine Samstag zwischen dem Leid und der Kreuzigung des Freitags und der utopischen Vollkommenheit des Sonntags. Hier, zwischen Verzweiflung und Hoffnung, ist alle menschliche Erkenntnis angesiedelt. »Philosophisches Denken und poetisches Schaffen sind Samstagskinder«, hat George Steiner einmal notiert. Kunst und Erkenntnis, »die von Schmerz und Hoffnung sagen, vom Fleisch, das nach Asche schmeckt, und vom Geist, der den Geruch des Feuers hat, sind immer des Samstags«.
Der Januar steht im Zeichen des Saturn. Der Jahreswechsel wird regiert vom »Dämon der Gegensätze«, wie Benjamin ihn genannt hat. Saturn herrscht über die gespenstischen Unternächte, aber auch über die christliche Weihnacht. Die vielleicht schönste Darstellung der saturninen Ambivalenz – und der Allianz von heidnischer und christlicher Symbolik – findet sich bei Lucas Cranach in seinem Bild Die Melancholie. Darauf sieht man einen von Saturn überstrahlten madonnenhaften Engel, der seltsamerweise einen Stock schält. über ihm hängt bedrohlich schwarzes Gewölk, in dem Hexen und Teufel auf Ziegenböcken, Stieren und Schlangen reiten. Aus der dunklen Wolke heraus aber schaukelt ein himmlisches Kind.
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