Johann Wolfgang Denzinger (1945) studierte Mathematik und war an der Hochschule tätig.Von 1987 bis 1991 war er am Institut von Thorwald Dethlefsen tätig. 1991 gründete er das URANOS Zentrum. .
Sechste Aufgabe im Zeichen Jungfrau
Das Ergreifen des Gürtels der Hippolyte
Die sechste Aufgabe des Herakles besteht darin, den Gürtel der Amazonenkönigin Hippolyte, Tochter des Kriegsgottes Ares, zu holen. Den Gürtel hat Hippolyte von Aphrodite, der Göttin der Liebe erhalten. Auch wird gelegentlich behauptet, dieser Gürtel stamme von ihrem Vater Ares selbst.
Die Amazonen werden im allgemeinen als Töchter des Kriegsgottes Ares (im Tierkreis dem Widder zugeordnet) und der Liebesgöttin Aphrodite (im Tierkreis zugeordnet zu Stier und Waage) betrachtet. Hippolyte erfährt von der Absicht des Herakles. Sie berät mit den anderen zwei Amazonenköniginnen, was zu tun sei. Sie kommen zu der Einsicht, den Gürtel dem Herakles freiwillig zu überlassen. Als die Ankunft des Helden im Reich der Amazonen gemeldet wird, geht Hippolyte Herakles entgegen, um den Gürtel zu übergeben.
Herakles jedoch ahnt nichts davon. Er kämpft sofort mit der Amazonenkönigin, entreißt ihr mit Gewalt den Gürtel - und tötet sie dabei. Neben der Sterbenden wird ihm sein schreckliches Versagen bewusst.
Herakles macht sich voller Reue auf den Heimweg. Nahe einem felsigen Meeresstrand sieht er plötzlich ein riesiges Meeresungeheuer und vernimmt die Hilferufe von Hesione, Tochter des Laomedon, die eben diesem Ungeheuer auf Anraten des Orakels geopfert werden soll. Ohne zu zögern stürzt sich Herakles ins Meer. Als er das Ungeheuer erreicht, ist Hesione bereits verschlungen. Herakles dringt durch den weit geöffneten Schlund in den Bauch des Ungeheuers ein. Dort findet er Hesione; er nimmt sie mit seiner linken Hand und hält sie fest, während er mit dem Schwert in der rechten sich den Weg nach außen freikämpft. So rettet er - zum Ausgleich für sein Versagen - das Leben von Hesione. Der Tod Hippolytes wird durch die Rettung Hesiones ausgeglichen und wieder gut gemacht.
Deutung des Mythos
Die sechste Aufgabe des Herakles ist von ganz anderer Art als die vorangegangenen. Hatte er es bis jetzt in vier von fünf Aufgaben mit Tieren - Pferd, Stier, Hindin, Löwe - zu tun, trifft er nun zum ersten Mal auf ein weibliches Wesen. Er soll den Gürtel der Aphrodite holen, den die Amazonenkönigin Hippolyte trägt.
Betrachten wir zuerst die Symbolik des Gürtels genauer: Der Gürtel stellt einen Kreis dar, der geöffnet werden kann, um am Ende wieder geschlossen zu werden. Der Sinn eines Gürtels liegt darin, Unverbundenes miteinander zu verbinden, so dass ein "geschlossener Zusammenhang" entsteht. Astrologisch ist diese Symbolik leicht nachzuvollziehen: Der Gürtel meint nichts anderes als das Wechselspiel von Mars/Ares und Venus/Aphrodite, das gelegentlich als der Energiekreislauf im Horoskop bezeichnet wird. Ares, die "Aktio", öffnet den Tierkreis (Gürtel). Er ist dem Zeichen Widder zugeordnet und verkörpert das Prinzip des Neuanfangs, verbunden mit der Trennung vom Alten. Aphrodite, die "Re-aktio", schließt den Tierkreis. Sie gleicht die "Aktio" von Ares angemessen aus, so dass am Ende wieder vollkommenes Gleichgewicht herrscht - als Prinzip der Vollendung ist sie es, die den offenen Gürtel wieder schließt. Unter diesem Gesichtspunkt wird verständlich, warum das mythologische Bewusstsein der alten Griechen den Gürtel der Hippolyte mal Ares, mal Aphrodite zuordnet. Diesen Zusammenhang finden wir auch in der Herkunft von Hippolyte, sagt uns doch der Mythos, sie sei Tochter von Ares und Aphrodite bzw. von Ares und Harmonia (Tochter von Aphrodite).
Herakles, der in der sechsten Aufgabe diesen Gürtel erhält, erkennt damit gleichzeitig das große kosmische Gesetzt der Harmonie: Aktio und Reaktio stehen immer im angemessenen Verhältnis. Dieses Gesetz ist Grundlage dafür, dass es im Leben nur, im großen wie im kleinen, Kreisläufe gibt - alles Begonnene wird zum Ausgangspunkt zurückgeführt, alles Geborene muss wieder sterben, alles Gewordene muss eines Tages vergehen - jedes Öffnen des "Gürtels" erzwingt das Schließen.
Um dieses Gesetz zu verstehen, muss sich Herakles auf das Du, das andere Wesen einlassen. Zum ersten Mal begegnet ihm das Weibliche, das andere Geschlecht. Verallgemeinert können wir sagen, dass er in dieser Aufgabe mit der "anderen Art" schlechthin konfrontiert wird. Und sofort werden seine Schwächen offensichtlich. Die fünfte Aufgabe hat ihm zu verstehen gegeben, dass er sich von nun an seinen Schwächen zuwenden muss, um ganzheitlich zu werden. Er tut es, doch wie zu erwarten war, ohne Ruhm und Beifall dafür zu ernten. Hippolyte, die ihm freiwillig den Gürtel anbietet, wird angegriffen und getötet. An diesem Punkt wendet sich das Blatt: Was gestern noch die Stärke des Herakles war, zählt heute bereits zu seinen Schwächen. Er hat sich unangemessen verhalten, und er lernt - zum ersten Mal - den aphroditischen Weg der Heilung und Wiedergutmachung. Seine aktiven, kämpferischen Kräfte hat Herakles bereits vorher geschult, seine reagierenden Kräfte bedürfen nun der Vervollkommnung.
Versetzen wir uns einmal in die Lage des Helden: Fünf schwierige Aufgaben haben seine ganzen kämpferischen Kräfte gefordert. Die Erfahrungen von Kampf haben ihn geprägt. Bereitschaft zur Auseinandersetzung, gewaltige Kräfte und der Wille zum Sieg haben ihn gelenkt, und seine Haltung zur Welt bestimmt. Diese innere Einstellung aber macht für ihn die Welt zum Gegner. In seiner Vorstellungswelt ist noch kein Platz für Freiwilligkeit und Entgegenkommen. Seine eigene "feindliche" Grundeinstellung projiziert er auf Hippolyte, um dann zu kämpfen und zu töten. Erst jetzt gewinnt er die Einsicht: Die Tat beruht auf seinem eigenen Missverständnis. Dennoch lernt Herakles seine Lektion. Indem er sich bewusst wird, dass er das aphroditische Gesetz der Harmonie verletzt hat, rettet er Hesione und stellt so die "kosmische Ordnung" wieder her.
In dieser sechsten Aufgabe wird offensichtlich, daß alles uns Begegnende dem vollkommenen Prinzip der Aphrodite unterliegt. Sie knüpft Beziehungen und Verbindungen so, dass sie in unterstützender Weise uns im wahrsten Sinn des Wortes entgegenkommen - wie Hippolyte dem Herakles. Dieses Gesetz der Harmonie zu durchschauen, heißt begreifen, dass die Welt unserer Beziehungen stets in idealer Weise unserer Entwicklung dient - mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Integrieren wir diese Erkenntnis, können wir alles Entgegenkommende mit in unser Leben einbeziehen. Abwehr und Kampf, Widerstand und Verweigerung haben ein Ende - wir werden ruhig und ausgeglichen.
Für uns alle ist dies schwer einzusehen, sind wir doch zutiefst überzeugt, dass wir in diesem Leben ohne Kampf zum baldigen Untergang verurteilt wären. So ist es für uns zur Gewohnheit geworden, für unsere Rechte einzutreten und zu kämpfen, ohne den eigentlichen Sinn zu hinterfragen. Die Angst, etwas nicht zu bekommen oder nicht zu erreichen, treibt uns an. Nun zeigen uns die ersten fünf Aufgaben, dass tatsächlich zuerst der Kampf kommt, ehe eine wirkliche Verbindung zu Aphrodite hergestellt werden kann. Wir sollten das deshalb nicht missverstehen und voreilig alle unsere Kämpfe abbrechen, nur weil uns die Jungfrauaufgabe lehrt, Aktio und Kampf zugunsten von Reaktio und Ausgleich aufzugeben. Dennoch sind wir für die kosmische Harmonie blind geworden in unserer einseitigen Ausrichtung auf Mars/Ares, den Gott des Kampfes. Das weiblich passive Prinzip der Reaktio erscheint uns schwach und unterlegen gegenüber dem männlich-aktiven Prinzip der Aktio. So konnte es dazu kommen, dass wir zu "Machern" geworden sind. Dabei werden tausend Dinge angefangen und ausprobiert, doch nichts wird wirklich beendet und zu seinem Ursprung zurückgeführt.
Aufgeschoben, so sagt das Gesetz der Harmonie, ist jedoch noch lange nicht aufgehoben. Im großen ist es für uns leichter zu sehen, aber es gilt ebenso im kleinen. Wann immer wir eine Aktion starten, so teilt uns der Mythos mit, begegnet uns die Welt genau so, wie es unserer Aktion angemessen ist. Der Maßstab hierbei ist Aphrodite, die Göttin der Vollkommenheit. Des weiteren erfahren wir, dass die Welt unserer Aktion auch noch entgegenkommt, d.h., wir erhalten von außen Unterstützung, damit unsere Aktion auch vollendet werden kann. Dieses Ende allerdings unterliegt nicht unseren persönlich-subjektiven Willen noch unseren Wünschen und Bedürfnissen, sondern erfolgt nach objektiv-ganzheitlichen Kriterien. Dies ist der Grund, warum wir immer wieder mit Beziehungen und Begegnungen konfrontiert werden, die uns offensichtlich Widerstand leisten bzw. unsere Aktionen gänzlich zunichte machen. Das Problem liegt aber in Wirklichkeit weder im Außen noch bei Aphrodite, sondern in uns selbst: Unsere eigenen Unvollkommenheiten, unsere Schwächen und Fehler, erzwingen die äußere Reaktion. Adäquat - also angemessen - ist die Reaktion, die uns hilft, das Angefangene zu beenden. So ist es zu verstehen, wenn bei ähnlichen Aktionen völlig unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen werden: Jeder von uns erhält genau das, was er verdient. Hier lohnt es sich, genau hinzuschauen: Verdienen hat mit dienen zu tun. Wir bekommen sozusagen im "gleichen Verhältnis" wie wir bereit sind, der Welt und dem Ganzen zu dienen. So wie Herakles müssen wir erst lernen, dass die Welt - und mit ihr Aphrodite - uns wohlgesinnt ist. Projizieren wir unser kampfbetontes Weltbild auf den anderen, so wird es uns genau so ergehen, wie es der Mythos beschreibt: Aus Entgegenkommen wird Gegnerschaft - wir "töten" die Amazonenkönigin und mit ihr all das, was uns die helfende Hand reicht. Bleiben wir in jener fatalen Projektion stecken, sind wir niemals imstande, aus unseren Beziehungen zu lernen. Die Folge sind fehlgeschlagene Beziehungen und Trennungen, ohne je die wirklichen zwischenmenschlichen Probleme gelöst und die "geöffneten Gürtel" geschlossen zu haben.
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