Die indischen Palmblattbibliotheken sollen exakte Informationen über das Schicksal und die Lebensumstände all jener Menschen enthalten, die sich auf die Suche nach ihrem persönlichen Palmblatt begeben. Ist unser Leben also Schicksal oder Zufall, Karma oder Chaos? Dieses grundlegende Buch sucht Antworten auf die uralten Fragen nach dem Sinn des Lebens: Müssen wir Verantwortung übernehmen oder ist ohnehin alles, was passiert, längst festgelegt? Geschehen Dinge aus Zufall oder Vorherbestimmung?
Wulfing von Rohr ist Sachbuchautor, Fernsehjournalist, Astrologieforscher und Seminarleiter. Er hat den Astrologen Dane Rudhyar erstmals im deutschen Sprachraum publiziert!
Wie die Lebensdaten aufgezeichnet wurdenWie sind die Schicksalsbotschaften der diversen Palmblattorakel nun durch die Jahrtausende oder zumindest durch die Jahrhunderte „gereist“ und in die Moderne gerettet worden? Zunächst, so heißt es, wurden sie mündlich überliefert. Danach wurden sie auf Stein, später auf Kupferplatten übertragen, noch später auf Palmblätter und schließlich auf Papier. Neuerdings sollen sie sogar in einen Computer eingegeben werden.Dass bald unzählig viele solcher Informationen nur im Gedächtnis existierten, klingt ziemlich unglaublich: versuchen wir einmal, mehrere Hunderte von Kurzbeschreibungen von Menschenleben mitsamt dazugehörigen Horoskopangaben auswendig zu lernen. Und hier geht es ja um Hunderttausende bis Millionen! Aber vielleicht wurde die Aufgabe ja auf mehrere Menschen verteilt. Das könnte übrigens eine Erklärung dafür sein, warum es etliche Palmblattbibliotheken gibt, in denen die Schicksale von unzählig vielen Menschen in groben Zügen aufgezeichnet sind.Vielleicht waren die Menschen im goldenen Zeitalter aber auch einfach einerseits konzentrationsfähiger und andererseits unbelasteter durch alle möglichen unwichtigen Informationen, die unser modernes Gemüt überfluten und zerstreuen.Wie dem auch sei: der Überlieferung nach wurden die Aussagen über die Lebenswege unzählig vieler Menschen zunächst einmal mündlich weitergegeben.Als nächstes meißelte man sie auf Steinplatten ein. Selbst wenn diese vielleicht nur so groß wie ein oder zwei Handteller gewesen sein mögen - es scheint sie heute nirgendwo mehr zu geben -, müssen Areale so groß wie olympische Stadien damit gefüllt gewesen sein. Bekanntlich ließ einer der wichtigsten indischen Herrscher, der zum Buddhismus bekehrte Kaiser Ashoka, überall im Lande unzählige Steintafeln aufstellen, sogenannte Edikte, auf denen er allgemein dazu aufrief, ein tugendsameres Leben zu führen und im speziellen mitteilte, wie er im königlichen Haushalt die Zahl der für den menschlichen Verzehr getöteten Tiere drastisch reduziert hatte. Ashoka starb um 232 vor unserer Zeitrechnung. Im Rahmen der damals üblichen Sitten erscheint es also durchaus denkbar, dass kleine Steintafeln die frühen Vorläufer von Palmblättern darstellten.Zunächst wurden die Steintafeln jedoch von Kupferplatten abgelöst. Auch von solchen Kupferplatten mit persönlichen Orakel-Inschriften habe ich leider noch keine einzige selbst zu Gesicht bekommen. Wir kennen jedoch sowohl aus dem indischen wie aus dem vorderasiatischen Kulturraum Kupferplatten, auf denen der Horoskopkreis mit den zwölf Tierzeichen, die Planetenzuordnungen, Mondstationen, Dekanate und vieles andere mehr vermerkt ist. Eine liebe geistige Wegbegleiterin besitzt eine solche astrologische Kupferscheibe.Von den Kupferplatten wurden die Schicksalsbotschaften auf Palmblätter übertragen. Die Palmblätter, die ich selbst gesehen habe, sind etwa zwanzig Zentimeter lang und rund drei Zentimeter breit. Sie sind mit sehr kleiner Sanskritschrift beschrieben, die pro Buchstabe vielleicht zwei bis drei Millimeter hoch ist, manchmal auch etwas höher. Ganz korrekt müsste es heißen, dass die Schrift in diese Blätter fein eingeritzt ist und die Vertiefungen mit einer schwärzlichen Tinte als Schriftzeichen aufscheinen. An zahlreichen Stellen ist die Schwärzung fast nicht mehr vorhanden, was die Lesbarkeit natürlich ziemlich erschwert. Es heißt, dass die Texte der Palmblätter durch die Jahrhunderte hinweg immer wieder dann auf neuen Blätter kopiert werden mussten, wenn die alten anfingen, brüchig zu werden.Palmblätter habe ich nur in Bangalore gesehen. In Hoshiarpur ist man „weiter“: dort sind alle Horoskopdaten und Lebensläufe auf quadratischen Papieren vermerkt. Diese Papiere sind offensichtlich mit Feder und Tinte beschrieben, die Sanskritworte sind ganz gut erkennbar. Etliche dieser Papierblätter sind hier und dort eingerissen, es fehlt bisweilen ein Stückchen an einer Ecke, aber insgesamt scheinen die, die ich gesehen habe, in einem ordentlichen Zustand zu sein. In Hoshiarpur erzählte mir Dr. Mohan auch, dass seine Familie damit begonnen habe, nun alle Texte in einen Computer einzugeben, weil damit die enorm zeitaufwendige Suche anhand von Horoskopdaten der Fragesteller inmitten von Millionen von Blättern stark vereinfacht werden könnte. Mal sehen, ob es dazu kommt, oder ob die „Magie“ eines Orakels aus fernen frühen Tagen sich nicht dem Zugriff der unpersönlichen Technik zu entziehen weiß.Die heutigen Palmblattleser verstehen sich übrigens im Regelfall als übersetzer, die möglichst getreu übermitteln, was sie für den Fragesteller in ihren Texten finden. Sie sehen sich nicht etwa als selbst medial begabte Menschen oder gar selbst als berufene Visionäre.© 2006 Lüchow Verlag; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors
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