Mit Rede und Widerrede lassen sich viele Fragen klären. Ein Gespräch, das auf eine Konfrontation verzichtet, mag in manchen Fällen geeigneter sein, um komplexe Zusammenhänge zu erschließen. In der Quadratur des Kreises betrachten zwei Philosophen einen Diskurs zwischen einem Astrologiekritiker und einem Astrologiebefürworter. Kenntnisreich erläutern und kommentieren sie die aufgeworfenen Fragen.
So nähern sie sich einer Beschreibung der Astrologie, die Standpunkte beider Seiten als Irrtümer offengelegt.
Ist denn nun die Astrologie eine Wissenschaft? In der zugrundeliegenden Diskussion kristallisieren sich vier Hauptthemen heraus:
- Ist eine Einflussnahme der Sterne denkbar oder gar nachweisbar?
- Warum haben Astrologische Zwillinge nicht das gleiche Schicksal?
- Sind die Annahmen der Astrologie vielleicht empirisch belegbar?
- Ist nicht die Präzession des Frühlingspunktes alleine schon das Kriterium, die Astrologie von vorneherein ablehnen zu müssen?
Der Dialog zwischen den Philosophen wird an einigen Stellen durch Aufsätze oder Studien unterbrochen, an den Stellen, die es sinnvoll erscheinen lassen, ein Thema zu vertiefen. Ein umfangreiches Kapitel widmet sich der Darstellung statistischer Untersuchungen, bei denen als Fortsetzung der Studien von Gunter Sachs der Frage nachgegangen wird, ob sich ein Zusammenhang zwischen Berufswahl und Konstellationen im Horoskop nachweisen lässt.
Auch wenn nicht alle Fragen eindeutig beantwortet werden, sind für weitere Kontroversen neue Voraussetzungen geschaffen worden.
Präzession
Antwort: Nach allen Regeln der Kunst! Und es geht - wie könnte es anders sein - um die Präzession, die Verschiebung des siderischen Tierkreises gegenüber dem tropischen Tierkreis. PTOLEMÄUS habe noch versucht, »die Astrologie in Übereinstimmung mit der Astronomie zu betreiben. Er vertrat die Auffassung, dass es eben zwei Arten von Voraussagen aufgrund der Stellungen der Himmelkörper gäbe«. Kanitscheider verweist per Fußnote auf die entsprechende Stelle im Tetrabiblos. In der Renaissance sei durch die heliozentrische Weltsicht, aber vor allem durch die Präzession, die »die Stellung der Planteten zu den Sternen des Tierkreises verschieb[e]«, die Astrologie gezwungen gewesen, zwischen Sternbildern und Tierkreiszeichen zu unterscheiden, was eine »kausale Deutung wesentlich erschwert« habe und es unmöglich gemacht habe, »die beiden Sternlehren in einem harmonischen Verhältnis zu betreiben«.
Frage: Das verstehe ich nicht. PTOLEMÄUS hat doch nicht zwei Sternlehren entwickelt?
Antwort: Folgt man Kanitscheider, dann hat PTOLEMÄUS die Präzession gekannt - was ja auch tatsächlich der Fall ist; bereits die Babylonier unterschieden mindestens 400 Jahre vor PTOLEMÄUS zwischen Sternbildern und Tierkreiszeichen - und hatten zwei Arten der astrologischen Voraussage entwickelt. Folgt man ihm weiter, dann hat es die Schwierigkeiten der kausalen Deutung also nicht erst in der Renaissance, sondern schon in der Antike gegeben. Es ist ja auch nicht die Präzession, die diese Schwierigkeiten provoziert, sondern die Kenntnis davon. Dann verschiebt ja die Präzession auch nicht die Stellungen der Planeten zum siderischen Tierkreis, denn wenn ein Planet im Tierkreisbild Widder steht, dann steht er da in der Antike wie in der Gegenwart. Kanitscheider wollte sagen, dass ein Planet, der in der Antike im Tierkreisbild Widder (siderischer Tierkreis) beobachtet wurde, zur damaligen Zeit auch im Sternzeichen Widder (tropischer Tierkreis) stand. In der Renaissance jedoch befand sich ein Planet, der im Tierkreisbild Widder (siderischer Tierkreis) beobachtet wurde, in der Regel schon im Sternzeichen Stier (tropischer Tierkreis).
Frage: Das verstehe ich aber immer noch nicht. Nach Kanitscheider ist eine kausale Deutung in der Antike leichter gewesen als in der Renaissance. Wenn wir jetzt annehmen, Kanitscheider meine mit »kausaler Deutung«, die Fixsterne übten einen Einfluss auf unser Leben aus und auf dieser Annahme begründe sich die Astrologie, dann frage ich mich, warum PTOLEMÄUS sich genötigt sah, noch eine weitere Sternenlehre zu entwickeln. Hätte er sich nicht einfach auf eine auf dem siderischen Tierkreis basierende Astrologie beschränken können?
Antwort: Kanitscheider hat zum einen PTOLEMÄUS gründlich missverstanden, zum anderen auch nicht richtig gelesen. PTOLEMÄUS lehrt eine ausschließlich auf dem tropischen Tierkreis basierende Astrologie:
Hat nun auch gleich der Zodiak keinen Anfang, da er einen in sich geschlossenen Kreis darstellt, so setzten die Alten doch den Widder als erstes Zeichen, weil in ihm die Frühlingsnachtgleiche liegt; da sie die feuchte Natur des Frühlings gleichsam als die Grundlage alles Lebendigen ansahen. Von dort aus zählten sie nun alle anderen Jahreszeiten weiter.
Mit den »zwei Arten« der astrologischen Voraussagen meinte PTOLEMÄUS die astronomische Voraussage der Planetenstellungen zum einen, die sich aus den Stellungen der Planeten ergebende astrologische Voraussage als Deutung zum anderen.
Frage: Die beiden Sternenlehren sind also Astronomie und Astrologie und nicht zwei nicht miteinander harmonierende astrologischen Systeme.
Antwort: Kanitscheider ist hier nicht nur ein Opfer seiner Flüchtigkeit und seiner Unkenntnis der astronomischen Zusammenhänge, sondern auch schon seiner später entwickelten Rettungshypothese für eine Plausibilität der Astrologie, den »S-Strahlen«, wie er sie nennt, den Schicksalsstrahlen, die von den Himmelskörpern ausgehen müssten. Eine auf derartigen Strahlen oder gar nur der Gravitation beruhende Kausalität der Astrologie konnte weder PTOLEMÄUS noch den Astrologen der Renaissance in den Sinn kommen.
Bemerkenswert ist noch, dass Kanitscheider etwas später in anderem Zusammenhang Paul R. Thagard zitiert, welcher den PTOLEMÄUS referiert, und zwar richtig: PTOLEMÄUS diskutiere zwei mögliche Arten der Vorhersagen, die eine und exaktere sei die astronomische Vorausberechnung der Planetenstände, wie es im Almagest dargestellt sei, die andere die astrologische Bewertung der Gestirnpositionen bezüglich des irdischen Geschehens. Kanitscheider hat also auch Thagard nicht richtig gelesen.
Frage: Niehenke hat nicht bemerkt, dass Kanitscheider hier vier, fünf Fehler in nur zwei Sätzen produziert hat?
Antwort: Ihm wird vielleicht auch mehr an der Diskussion der echten Einwände gegen die Astrologie gelegen gewesen sein. Wollten wir an dieser Stelle ein Résumé ziehen, dann hat Kanitscheider auf bisher etwas mehr als vier Seiten noch nichts Konstruktives in die Diskussion eingebracht. Er kehrt auch auf seinen Ausgangspunkt zurück und bestätigt, dass seine Ausführungen zur gesellschaftlichen Situation der Astrologie - nämlich dass die Befürworter sich mehrheitlich aus nicht-intellektuellen Kreisen rekrutierten - im Prinzip bisher überflüssig gewesen seien: Man könne die wissenschaftstheoretisch begründete Ablehnung der Astrologie nicht aus der gesellschaftlichen Situation entwickeln, sondern ausschließlich aus der Analyse der Astrologie, ihrem Aufbau und ihrer logischen Struktur.
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