Im Jahr 1983 verständigten sich die wichtigsten astrologischen Verbände in deutschsprachigen Ländern darauf, ein „Grundsatzpapier astrologischer Vereinigungen“ zu unterzeichnen. Ein Ziel dieses Dokuments war es, unter den deutschsprachigen Astrologen ein gemeinsames Grundverständnis von Astrologie zu entwickeln und zu etablieren. Über 20 Jahre später ist es allerdings fraglich, ob oder inwiefern dieser 1983 erzielte Konsens noch allgemein akzeptiert wird, denn die mit der Astrologie verbundenen Kontroversen haben sich weiterentwickelt und auch die Auffassungen von Astrologen haben sich verändert. Um dies abzuklären, baten wir 40 führende Repräsentanten praktizierender Astrologen – sowie auch ein Dutzend „kritische Beobachter“ dieser Praxis – die 1983 aufgestellten Thesen zu kommentieren und konstruktive Vorschläge für eine überarbeitete oder gänzlich neue Version eines solchen Dokuments zu unterbreiten. Der Band enthält ferner eine weitere Diskussion zum Verhältnis von Parapsychologie und Zauberkunst.Mit Beiträgen von Rolf Baltensperger, Siegfried Böhringer, Geoffrey Dean, Jürgen Hoppmann, Bernuf Kanitscheider, Manfred Magg, Arthur Mather, Ruprecht Mattig, Peter Niehenke, Eva Stangenberg, Kocku von Stuckrad, Koen Van de Moortel, Richard Vetter, Ulrike Voltmer, Christopher Weidner, Dirk Wendt und Edgar Wunder
Edgar Wunder ist Soziologe und Geograph. Dozent am Geographischen Institut der Universität Heidelberg sowie Geschäftsführer der Gesellschaft für Anomalistik e.V.
>>zum InhaltsverzeichnisEditorial: Differenz und KonsensEDGAR WUNDER Gemeinsame Thesenpapiere sind eine feine Sache. Sie zwingen alle an ihrer Erarbeitung Beteiligen, präzise zu analysieren, welche Positionen eigentlich von ihnen oder noch größeren, über den ursprünglichen Initiatorenkreis hinausreichenden Personengruppen geteilt werden. Auch für die Andersdenkenden, die dann jenseits der erzielten Konsensfähigkeit verbleiben, sind solche Thesenpapiere als Diskussionsgrundlage spannend und hilfreich. Anfang der 1980er Jahren freuten sich deshalb auch die Kritiker und Gegner der Astrologie, als auf Initiative des damaligen Vorsitzenden des Deutschen Astrologen Verbands (DAV), Peter Niehenke, ein „Grundsatzpapier astrologischer Vereinigungen“ vorgelegt wurde, dessen Inhalt einen breiten Konsens unter deutschsprachigen Astrologen darstellen sollte. An den so markierten sachlichen Differenzen konnte man sich abarbeiten, und ich glaube, dass dieses „Grundsatzpapier“ mit ein Faktor war, der in den darauf folgenden Jahren zu einer tendenziellen Versachlichung der Debatte um die Astrologie im deutschen Sprachraum führte.Heute, ein Vierteljahrhundert später, stellen wir in der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift für Anomalistik dieses „Grundsatzpapier“ erneut zur Diskussion. Nicht weil wir Debatten von vorgestern führen möchten, sondern weil die mittlerweile gewonnene historische Distanz zu diesem Dokument interessante Einblicke erlaubt, wie sich die Diskurslage zur Astrologie (was eine ernsthafte Diskussion betrifft) zwischenzeitlich verändert hat.Die größte Überraschung für manche Leser dürfte es wohl sein, dass die in dieser Zeitschriftenausgabe gesammelten zahlreichen Kommentare zum historischen „Grundsatzpapier“ oft gar keine klare Unterscheidung mehr zwischen Anhängern und Kritikern der Astrologie erkennen lassen. Die vorgetragenen Positionen sind so vielfältig und differenziert, dass es bei vielen Kommentatoren schwer fällt, eine eindeutige und trennscharfe Zuordnung zu einem „Pro“- oder „Contra“-Lager vorzunehmen. Es geht letztlich auch gar nicht mehr um eine Pro- vs. Contra-Diskussion. Und auch eine systematische Unterscheidung zwischen Astrologen und die Astrologie untersuchenden Wissenschaftlern scheint in bezug auf unsere Kommentatoren oft einigermaßen künstlich.Dieses tendenzielle Verschwimmen und Verdampfen früherer „Lager“ bedeutet nicht, dass keine Differenzen mehr bestünden, sondern dass die Dimensionen dieser Differenzen so viel-fältig und zunächst unübersichtlich geworden sind, dass sie mit einem simplen Schema wie z.B. „Pro vs. Contra“ kaum mehr zu erfassen und ganz sicher nicht mehr darauf reduzierbar sind.Was folgt daraus für die Zukunft? Zum Beispiel dies: Welche Personen und Positionen in zukünftigen Thesenpapieren zur Astrologie sinnvoller Weise zu integrieren sind, also gegen welche Differenz ein Konsens gefunden werden soll, ist keineswegs mehr eindeutig. Vielfältige personelle oder institutionelle Konstellationen sind hier denkbar, und ich wünsche mir, dass möglichst viele dieser Optionen auch tatsächlich einmal realisiert werden. Insbesondere solche scheinen mir besonders interessant, innovativ und auch für Außenstehende aufschluss-reich, die auf dem Weg ihrer Konsenssuche den lange fokussierten Gegensatz zwischen „Ast-rologen“ und „Astrologie-Kritikern“ nicht weiter pflegen, sondern ihn letztlich überwinden, indem sie das Differenz- bzw. Inklusionskriterium zur Abwechslung auch einmal anders wählen.Es ist ein besonderes Anliegen der Zeitschrift für Anomalistik, solche Prozesse zu fördern. Ihr Hauptziel – zu allen Themengebieten der Anomalistik – ist und bleibt die Diskussion, weil oft nur der kontrovers geführte Dialog in der Lage ist, unser Denken hinreichend zu irritieren, um aus gewohnten Bahnen ausbrechen zu können.Dabei ist es übrigens auch willkommen, wenn Diskussionen über mehrere Ausgaben der Zeitschrift hinweg geführt werden. Schreiben Sie uns also ruhig, liebe Leser, wenn Sie die Aussagen des einen oder anderen Autors in dieser Ausgabe zu einer eigenen Stellungnahme provozieren sollten.
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