Die Astrologie ist eine Geisteswissenschaft. Es kommt ihr nicht darauf an, die Welt zu erklären im Sinne der Naturwissenschaft. Astrologie will die Welt verstehen –- zumindest den Teil der Welt, der sich in einem Horoskop findet. Dabei ist die Astrologie auch ein paradoxes Fach, denn wer sich mit ihr beschäftigt, weiß dass sie „funktioniert“, auch wenn es keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gibt. Hierzu stellt das Buch Fragen und zeigt, die Astrologie kann auch ohne Anerkennung der Wissenschaft existieren.
Christoph Schubert-Weller (1950) Studium der Philosophie, Linguistik und Literatur, Zweitstudium in Pädagogik, Psychologie und Soziologie. 1993 Promotion. Ausbildung in Astrologie seit 1976, geprüfter Astrologe (DAV). Lange Jahre geschäftsführendes Mitglied der Prüfungskommission beim Deutschen Astrologenverband (DAV) und von 2005 bis 2011 leitete er den Verband als 1. Vorsitzender. Aufsätze, Monographien Vorträge und Radiosendungen.
Erkenntnis in der Astrologie
Die Aufsätze des vorliegenden Bandes kreisen in verschiedenster Weise um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Astrologie und Wissenschaften. Ich weiß, dass vor allem Naturwissenschaftler mit den bisherigen empirischen Legitimationsversuchen in Sachen Astrologie, gelinde gesprochen, nicht zufrieden sind. Die Astrologie teilt dieses Schicksal übrigens mit einer Reihe von Disziplinen, die sich dennoch akademischer und naturwissenschaftlicher Akzeptanz erfreuen, zum Beispiel Theologie oder Teile der Psychologie. Seit mehr als drei Jahrzehnten arbeite ich astrologisch und habe meine Evidenzerfahrungen gehabt. Ich setze voraus, dass Astrologie „wahr“ ist und „funktioniert“. In den Aufsätzen, die ich hier vorlege, streife ich gelegentlich Fragen der legitimierenden Astrologieforschung, aber ich erörtere deren Probleme nicht ausführlich. Mich interessiert in der Frage nach dem Verhältnis zwischen Astrologie und Wissenschaften zugleich die Frage nach der Art und Weise von Erkenntnis in der Astrologie, mithin die Frage nach einer „Philosophie der Astrologie“.
Die Entstehung der hier vorgelegten Aufsätze datiert teilweise zurück bis in die 90er-Jahre. Ich habe mich immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Frage nach der „Philosophie der Astrologie“ auseinander gesetzt. Der größere Teil der Aufsätze wird hier zum ersten Mal veröffentlicht. Eindeutige Antworten kann ich bislang nicht liefern, ich bin im Blick auf eine „Philosophie der Astrologie“ nach wie vor ein Suchender. In diesem Sinn nun einige Grundsatzüberlegungen:
Die Astrologie ist eine Geisteswissenschaft mit allen Konsequenzen, die eine solche Einordnung bedeutet: Die Interpretation von Horoskopen, das Kerngeschäft der Astrologie, lässt sich ohne weiteres als hermeneutischer Prozess auffassen. Wir finden mit den Deutungsbausteinen der Astrologie, wie sie in jedem astrologischen Deutungsbuch angeboten werden, und zugleich mit dem Erfordernis nach einer „Ganzheitsschau“) die Ingredienzen des hermeneutischen Zirkels“. Das Verstehen von Horoskopen ist entscheidend in historische, menschenkundliche, kulturgeschichtliche bzw. kulturschöpferische Zusammenhänge eingewoben. Es kommt der Astrologie, sehr frei nach einem Satz von Wilhelm Dilthey zur Zielsetzung der Geisteswissenschaften, nicht darauf an, die Welt zu erklären, sondern sie zu verstehen – jedenfalls jenen Teil der Welt, der sich in einem individuellen Horoskop oder einer mundanastrologischen aktuellen Konstellation am Himmel usw. zum Ausdruck bringt.
Das Problem ist, dass Astrologie nicht zur Gänze Geisteswissenschaft ist. Astrologie behauptet, dass Zeit eine Qualität habe und dass diese Qualität aus den Umläufen und den Konstellationen innerhalb des Sonnensystems ableitbar sei. Damit ragt sie in das Gebiet empirischer (Natur-)Wissenschaften hinein. Astrologie macht Aussagen zur leiblichen und psychischen Konstitution von Individuen. Sie ist darum auch Humanwissenschaft. Es ist zumindest schwer, Astrologie gänzlich ohne eine spiritualisierte Sicht auf die Welt zu betreiben. Unabhängig davon, ob man dann religiöse, agnostische oder atheistische Argumente vertritt, ist man damit auf einem weltanschaulichen Gebiet tätig, und damit ragt Astrologie auch in die Religionen und die Esoterik und die zugehörigen Wissenschaften (Theologien usw.) hinein, aber auch ebenso in die Philosophie. Astrologie ist hinsichtlich ihrer Stellung im Kanon der Wissensgebiete bzw. Wissenschaften uneindeutig, janusköpfig, paradox.
Die Astrologie ist Jahrtausende alt. Sie verschwand mitsamt ihrem altehrwürdigen Welt- und Menschenbild in Europa durch die langfristigen Folgen des Dreißigjährigen Krieges und im Gefolge der Aufklärung im 18. Jahrhundert im Untergrund. Als sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts allgemein aus diesem Untergrund wieder auftauchte, geschah das gewissermaßen vor allem deshalb, weil nun ein wirklich großer Paradigmenwechsel anstand, der Wechsel hin zu einer „revidierten“, als vorwiegend psychologisch verstandenen Astrologie in den Zwanziger Jahren. Im Gefolge dieses Paradigmenwechsels hat sich die Astrologie sehr stark weiterentwickelt – was auch neue Fragen zur „Philosophie der Astrologie“ aufwirft. Ich halte es zudem für möglich, dass in der Astrologie ein weiterer Paradigmenwechsel bevorsteht.
1972 habe ich ein Philosophiestudium abgeschlossen. Das Thema einer „Philosophie der Astrologie“ ist mir persönlich wichtig, seit ich 1976 die Astrologie für mich entdeckt habe. Freilich, wer sich in Europa offen zur Astrologie bekennt, sieht sich im günstigen Fall nachdenklichen Anfragen von akademischen Skeptikern und besorgten Kirchenleuten gegenüber, im weniger günstigen Fall abwertenden oder wütenden Angriffen. Ich habe das zur Genüge erlebt und dabei manche Zeit aufgewendet. Ich bin all diesen skeptischen Fragestellern und Angreifern sehr dankbar, weil sie mich genötigt haben, meine Argumente zugunsten der Astrologie fortwährend zu verfeinern. Aber irgendwann wurde mir deutlich, dass ich hauptsächlich im Spiel der Skeptiker mitspielte und dass die Astrologie unabhängig davon besteht, ob sie nun naturwissenschaftlich legitimiert werden kann oder nicht. Das klingt vielleicht banal, war aber seinerzeit für mich ein wichtiger Gedanke, der mir ein zusätzliches Tor zur Freiheit öffnete. Erst da gestattete ich mir in der Astrologie selbst einen größeren Tiefgang – und gestattete mir im eigentlichen Sinn philosophische und erkenntnistheoretische Fragestellungen zur Astrologie.
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