Saturn - der unverstandene Gott
Während sich die Arbeit am Manuskript zu diesem Buch dem Ende zuneigte, fand ich in meinen Unterlagen eine vergessene Notiz, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches bereits sieben Jahre alt ist. Hastig hatte ich zwischen Traumaufzeichnungen und Lose-Gedanken-Sammlungen eingefügt: "Ich muss mich auf die Suche nach einem unverstandenen Gott machen. Es ist notwendig. "Damit hatte ich, ohne es zu wissen, ein Versprechen abgegeben. Im Rückblick betrachtet hat jener Teil meiner Seele, dem ich dieses Versprechen gab, mich zu dessen Einlösung geführt, und das vorliegende Buch ist ein Ergebnis davon. Denn, ob es mir klar war oder nicht - ich hatte mein Versprechen wohl ernst gemeint. Und alles, was wir ernst meinen, hat Folgen.
Dieser unverstandene Gott, wie ich ihn nannte, war Saturn, oder die Steinbock-Energie schlechthin - jene Qualität des Tierkreises, die nicht gerade den besten Ruf hat. Dennoch gilt es in der Astrologie als wichtig, Saturn "zu erlösen", denn das hat auf das eigene Leben eine befreiende Wirkung. Saturn zu erlösen bedeutet jedoch nicht, diese Qualität aus dem Tierkreis zu löschen, obwohl vielen vermutlich in so manchen misslichen, von Saturn bestimmten Situationen der Sinn danach stehen mag. Zwischen der unerlösten und der erlösten Saturnkraft steht ein Prozess der Wandlung dieser Energie, was jedoch letztendlich einer Wandlung unserer selbst gleichkommt. Saturn zu wandeln bedeutet, ihn zu integrieren und diese Kraft in der eigenen Seele und im eigenen Leben auf eine konstruktive und förderliche Weise zu spüren.
Wandlung ist jedoch ein Akt von Geist und Seele und ist nicht gleichbedeutend mit äusserlicher Veränderung - im Gegenteil. Etwas zu wandeln bedeutet, aus ihm durch einen inneren Vollzug ein Gleichnis zu machen und es somit in die symbolische Ebene zu transformieren. Ein beliebiger Gegenstand mag rein physisch derselbe bleiben - durch einen rituellen Akt erhält er jedoch eine symbolhafte Bedeutung und damit eine vollkommen veränderte Wirkung. Dies ist mit Wandlung gemeint, und was wir beispielsweise in religiösen Zeremonien gut beobachten können funktioniert auch mit der Energie Saturns, dem Herrn dieser Welt. Wenn Saturns Wirkungen in unserem Leben sich verändern sollen, ist ein veränderter Blick auf diese Kraft notwendig, ein Blick, der aus ihr ein Gleichnis und somit zugleich eine Tür macht, durch die wir hindurchtreten können.
Die Wirkung gewandelter Gegenstände erklärt sich aus ihrer Einbindung in das Ganze. Eine brennende Kerze ist beispielsweise nichts weiter als Wachs, ein Docht und eine Flamme - wird sie jedoch in einen Zusammenhang gestellt und aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet, wandelt sie sich zu einem Symbol für das Licht. Auf dieser symbolischen Ebene wird sie damit zugleich Empfängerin vieler anderer Zuschreibungen: Leben, Wärme, Liebe, Hoffnung, Kraft oder Zuversicht. Die Energie von Steinbock/Saturn zu wandeln erfordert einen ähnlichen Prozess, mit dem wir jedoch zumeist Mühe haben, da diese Qualität die ganz konkrete, physische Facette unserer Existenz betrifft. Es macht uns Mühe, die Welt als ein Gleichnis zu sehen, auch wenn uns Saturn dadurch ein Stück vertrauter wird. Noch mehr Mühe macht es uns aber, uns selbst als ein Symbol zu betrachten, uns selbst auf eine Ebene zu transformieren, auf der wir das, was wir konkret erfahren, vollkommen anders erleben.
Die Energie von Steinbock/Saturn in ihren Zusammenhang zu stellen, war mir ein persönliches Anliegen, denn einen anderen Weg zum Begreifen gab es für mich nicht. Erst hierdurch fiel mir jedoch die Zerrissenheit und Wurzellosigkeit dieser astrologischen Qualität auf, und dass sie in diesem Zustand ist, ist zu einem grossen Teil das Ergebnis unseres weltanschaulichen Erbes. Die ganzheitliche Perspektive eröffnet einen neuen Blick auf Saturn, und somit auch auf jenen Teil unserer eigenen Seele, der verteufelt wurde und im Tartaros sitzt. Saturn zu erlösen heisst auch, uns selbst aus der Dunkelkammer zu befreien, und dies befähigt uns wiederum zu einer erdverbundenen Spiritualität, der wir Heutigen auch im Hinblick auf unsere Zukunft wohl mehr denn je bedürfen.
Aus diesem Grund befasst sich der mythologische Teil dieses Buches mit mehreren Gesichtspunkten saturnischer Energie. Allem voran steht die Betrachtung jener Bilder, deren Zuordnung zu Saturn bekannt ist: der griechische Mythos um Kronos und der Sündenfall der christlichen Theologie. Jedoch lassen sich zu Saturn gehörende Bilder bis in die Mythen der Mutterreligionen zurückverfolgen, und dieser Blickwinkel wandelt seine Energie bereits erheblich. Zugleich erschien es mir notwendig, Saturns Verbindung zu den zwei neueren astrologischen Faktoren Chiron und Lilith zu betrachten, denn Chiron ist in der griechischen Mythologie der Sohn des Kronos, während Lilith im jüdischen Mythos die Gefährtin Satans wurde. Wann immer wir es im Leben mit Saturn zu tun haben - Chiron und Lilith stehen stets dabei.
Im zweiten Teil wende ich mich hauptsächlich der Heimat Saturns zu und betrachte das Zeichen Steinbock unter dem Gesichtspunkt seiner Position im Tierkreis. In der Darstellung des archetypischen Tierkreises steht der Steinbock in der Regel am Dach des Kreises, wodurch die prägende Kraft dieser Energie für unsere irdische Existenz symbolisiert wird. Jedoch erklärt sich im Grunde keine Energie des Tierkreises aus sich selbst heraus - und schon gar nicht die Heimat Saturns. Gerade bei Saturn neigen wir jedoch häufig zu einer isolierten Betrachtung, und der zweite Teil geht auch der Frage nach, warum das so ist und woher diese Sichtweise kommt. Wie alles erhält auch die Qualität des Steinbock erst ihren Sinn, wenn sie in ihren Zusammenhang gestellt wird. Und erst aus dieser ganzheitlichen Sicht werden Ziel und Eigenart des Steinbocks umfassend offenbar und Verzerrungen dieser Energie erkennbar und heilbar.
Die Integration des Steinbocks in das Ganze bringt vor allem seine zum Wassermann weiterführende Qualität hervor und legt den Blick auf einen seelischen Schutzmechanismus offen, der nur allzu leicht als Behinderung abgetan wird. Der Hüter der Schwelle in uns mag uns einiges abverlangen, bis er die Tür freigibt, doch schliesslich sind wir auch alle Zauberlehrlinge, die lernen müssen, mit den Geistern, die sie rufen, fertig zu werden. Auf der Schwelle Saturns lernen wir vor allem den ersten Schritt hierzu, nämlich zu erkennen, dass wir die Geister selbst gerufen haben. Jedoch sind diese Erkenntnis und der erlösende Zauberspruch ein und dasselbe, und es ist Saturn, der darüber wacht, dass wir in einem Tempo zaubern lernen, das weder uns noch anderen schadet.
Auf welche Weise und wo wir was lernen, ist Gegenstand des dritten Teils. Hier geht es vor allem um die Färbung der persönlichen Saturnqualität und um seine Konstellationen im individuellen Horoskop. Neben der Betrachtung der Stellung Saturns in Zeichen und Häusern untersuche ich auch das Haus, in dem im persönlichen Horoskop der Übergang von Steinbock zu Wassermann fällt. Dieses Haus entpuppt sich nicht selten als "Zauberschule" und kommt im realen Leben oft einer Sollbruchstelle gleich. Hier finden wir den Staudamm und das Elektrizitätswerk am Ufer des Sees zugleich, hier verdichten sich unsere Bemühungen um Integrität und Individualität - und hier ist ein wesentliches Thema unseres Lebensauftrags zu finden. Nicht selten lassen sich die Schwierigkeiten mit Saturn aus seiner Isolation innerhalb des Ganzen ableiten, und die Betrachtung des Übergangs zum Wassermann kann für jeden und jede persönlich die saturnische Qualität wandeln.
Der astrologische Blick auf Saturn wandelt sich in unserer Zeit auch allgemein, und dies hängt sicherlich zugleich mit der zunehmenden Beachtung der weiblichen Dimension der Welt zusammen. Dass Saturn im wahrsten Sinne des Wortes so ein Teufelskerl werden konnte, ist auch ein Resultat des historischen Aufstiegs des Patriarchats, dem wir einen mehr als verzerrten Blick auf die irdische Realität verdanken. Wir müssen jedoch wieder lernen, mit der Erde zu gehen, und dies setzt einen Blick voraus, welcher in der saturnischen Qualität die Liebe zum Leben entdecken will. Die Annahme, dass es ursprünglich in unserer Seele nichts gibt, was gegen uns ist, ist gerade in Bezug auf Saturn für manche nahezu revolutionär. Entsprechend befreiend wirkt sich jedoch auch die innere Bejahung seiner Energie aus. Es ist gut zu wissen, dass es Prometheus in uns ist, der will, dass wir die Energie Saturns in unsere eigene Seele integrieren.
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